Somara Frick
Obst und Beeren aus dem Hofladen: Jürg Rellstab und Matthias Gantner geben Einblick in ihre lokale Obstproduktion. Und sie erklären, was es mit Nützlingen und Abfallverwertung auf sich hat.
Der Hof von Jürg Rellstab liegt in der Stadt Wädenswil und das schon seit über 400 Jahren. Seine Vorfahren haben 1615 den Betrieb gestartet und er führt den Hof bereits in elfter Generation. Der Betrieb ist mittlerweile von urbanem Gebiet umgeben und trotzdem findet man hier Dorfidylle. An die Obstanlagen grenzen moderne Wohnsiedlungen, aber auch Weideflächen. Heute scheint die Sonne und es ist drückend heiss. Von den Hängen des Hofes aus sieht man auf das kühle Nass des Zürichsees.
Stolz führt Jürg über das Gelände: Rund fünfzig Tonnen Äpfel und Birnen kann der Betrieb pro Jahr ernten und je zwei bis drei Tonnen Zwetschgen, Kirschen und Erdbeeren. Buchstäblich weniger ins Gewicht fallen Himbeeren, Brombeeren und Johannisbeeren. Sie sind aber nicht minder wichtig für den Betrieb – im Gegenteil. Mit Kiwi und Tafeltrauben wird das vielfältige Sortiment ergänzt. Hinzu kommt die hauseigene Mostpresse: Rund 30’000 Liter Saft werden dort hergestellt und verkauft. Auch andere Höfe bringen ihre Äpfel hierhin zum Mosten. «Wir sind ein kleiner Betrieb und könnten nicht einen Grossverteiler beliefern, dafür produzieren wir zu aufwendig. Wir verkaufen alles in unserem Hofladen oder auf dem Wochenmarkt. Damit wir das ganze Jahr etwas verkaufen können, wollen wir ein vielseitiges Sortiment anbieten.»
Den Betrieb hat Jürg vor 30 Jahren übernommen. Als Erstes hat er die Tierhaltung auf dem Hof eingestellt und sich auf Beeren- und Obstkulturen konzentriert. Was sich zwischen den Generationen verändert hat? «Generell verringern Maschinen die harte körperliche Arbeit. Beispielsweise übernimmt heute der Gabelstapler den Transport der schweren Harasse.» Als sein Vater damals den Betrieb übernommen hatte, war dieser noch voller Hochstammbäume. «In unserer jetzigen Anlage gibt es fast ausschliesslich Niederstammbäume. Diese eigenen sich für die Produktion von Tafelobst.» Denn kleinere Bäume kann man einfacher vom Boden aus ernten und mit Hagelnetzen schützen.
Auf dem Hof arbeiten während der Ernte-Saison bis zu zehn Arbeitskräfte. Neben Jürg ist auch Matthias Gantner in der Betriebsleitung. Der Wädenswiler ist seit knapp acht Jahren auf dem Hof tätig. Jürg hat ihn zum Obstfachmann ausgebildet. Mittlerweile hat Matthias die Meisterprüfung absolviert. «Ursprünglich habe ich Hochbauzeichner gelernt. Dort fehlte mir aber irgendwann das praktische Umsetzen.» Kurzerhand machte er ein Praktikum im Gemüse- und Obstbau.
Die beiden sind ein eingespieltes Team und teilen die gleiche Leidenschaft für die Natur. Auf die Frage, was ihre Lieblingsfrucht sei, antworten beide mit einem Strahlen: «Immer das, was gerade wächst. Jede Beerenart, jeder Apfel – es ist jede Saison eine Freude.» Der schönste Moment bei der Arbeit sei klar die Ernte. Diese ist übrigens nach wie vor Handarbeit. «Auch den direkten Kontakt mit Kundinnen und Kunden auf dem Markt schätze ich sehr», fügt Jürg an.
Der Betrieb ist nah an der Bevölkerung: «Wir möchten den Menschen in der Umgebung lokale, frische und feine Früchte anbieten. Diese produzieren wir möglichst ressourcen- und umweltschonend und mit kurzen Transportwegen», sagt Jürg. Matthias ist überzeugt: «Das, was gesund für uns ist, wächst auch hier. Saisonalität bringt so auch Abwechslung auf den Teller.» Und ergänzt: «Privat als Konsument will ich wissen, wie die Arbeitsbedingungen für die Menschen in der Produktion sind. Als Produzent kann ich hier faire Bedingungen bieten und arbeite transparent.» Matthias ist engagiert für die Initiative «Total Lokal», die der Bevölkerung in Wädenswil anhand einer Karte aufzeigt, wo sie welche Produkte in der Nähe kaufen können.
Ein weiterer wichtiger Punkt in der Philosophie des Betriebs ist die Vermeidung von Abfällen. Klar sei das Ziel, viele Erstklassäpfel zu haben, doch auch die nicht so perfekten werden verwendet: «Wir vermosten sie. Zu grosse Äpfel verarbeiten wir zu getrockneten Apfelringen. Auch Konfitüren machen wir. Wir schauen, dass wir möglichst alles verwerten können», erklärt Jürg.
Die Kundschaft wünscht sich vermehrt alte Apfelsorten zurück. Jürg hat darauf reagiert und auch wieder Nostalgiesorten angebaut, so zum Beispiel die Berner Rose. Auch die alte Sorte Boskoop, der Favorit zum Backen, hat einen festen Platz im Sortiment. «Die meisten Nostalgiesorten haben aber so ihre Tücken», meint Jürg. So sind einige nicht lagerungsfähig, zu sauer, mehlig oder nicht krankheitsresistent. Nostalgiesorten bleiben daher ein Nischenprodukt. Matthias fügt an: «Dass wir auf unserer kleinen Fläche so viele verschiedene Sorten produzieren, hebt uns auch von den Grossverteilern ab. Und bei den Erdbeeren sind wir für unsere sehr aromatischen Sorten bekannt.»
Die Begeisterung der beiden für ihre Früchte ist spürbar. Mit viel Hingabe greift Jürg in die Sträucher, sieht nach dem Rechten. Dreht Blätter einzeln um und zückt auch schon mal die Lupe, um zu sehen, was vor sich geht. Denn sie müssen das Obst vor Pilzkrankheiten und Insekten schützen. Der Hof produziert nach integriertem Standard. «Auch wenn wir kein zertifizierter Bio-Betrieb sind, wenden wir Techniken aus der Bioproduktion an. Es ist uns ein grosses Anliegen, möglichst umweltschonend zu produzieren», unterstreicht Matthias. Jürg erklärt den Einsatz von Nützlingen: «Die meisten Schädlinge haben auch einen natürlichen Feind. Marienkäfer und Florfliegen fressen beispielsweise Läuse. Ist diese Population im Gleichgewicht, wird der Schädlingsdruck verringert.» Damit sich die Nützlinge wohlfühlen, setzt er, wenn überhaupt, nur möglichst schonend Pflanzenschutzmittel ein. Er mäht auch weniger, um Nistplätze und mehr Lebensraum für Nützlinge zu lassen.
Eine weitere Herausforderung beim Arbeiten draussen ist die Wetterabhängigkeit. Flexibilität ist gefragt, manchmal innerhalb vom gleichen Tag. Matthias sieht die Planung als Knacknuss: «Immer wieder müssen wir die Wetterprognosen richtig einschätzen und gleichzeitig darauf achten, wie viele Mitarbeitende uns zur Verfügung stehen. Denn oft fallen viele Arbeiten gleichzeitig an.» So werden im August schon die Erdbeeren für die kommende Saison gesetzt, während die Obsternte immer noch voll im Gange ist. Auch den richtigen Reifezeitpunkt der einzelnen Früchte abzuschätzen, ist entscheidend. Hinzu kommen für Matthias unsichere Langzeitprognosen: «Ich erwarte in Zukunft vermehrt extremere Witterungseinflüsse: noch trockener oder aber massivere Niederschläge.» Ein weiterer Faktor bleibt für die Zukunft des Betriebes massgebend: «Ich wünsche mir, dass kleine Betriebe wie unserer überleben können, dank Kundschaft, die bereit ist, einen entsprechenden Preis zu zahlen.»
Bis November erntet das Team und arbeitet an der Mostpresse. Und im Winter? Jürg erzählt: «Viel werde ich gefragt, was wir denn im Winter machen. Dann ist endlich Zeit für Wartungsarbeiten, Bäume schneiden, Vermarktung, Servicearbeiten und viel Büro. Er lächelt: «Ach, und es gibt ein bisschen mehr Freizeit.» Doch auch dann zieht es ihn wieder nach draussen in die Natur, zum Beispiel zum Skitourengehen.
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