Torge Fahl
Viele besitzen eins, fast alle kennen es – das Schweizer Sackmesser. Aber wie wird aus Rohstahl und Kunststoffgranulat ein handlicher Alleskönner? Transa war zu Besuch bei Victorinox in Ibach (SZ).
Es ist ein regnerischer Tag in Ibach (Schwyz), als Rainer Betschart und Tanja Stocker sieben Transianer:innen in Empfang nehmen. Sechs von ihnen beraten die Kundschaft in den Filialen, der siebte im Bunde ist Einkäufer Martin. Besuche bei Herstellern gehören bei Transa zur vertieften Ausbildung dazu. So auch an diesem regnerischen Tag: Die Gruppe folgt Rainer in die Fabrikhallen. «Wir haben viel vor!» Sie werden von dem Lärm und Duft der Fabrik umhüllt: Schmieröl und der metallische Geruch von heissem Stahl geben einen Vorgeschmack auf die aufwendigen Schritte, die es braucht, um ein Messer zu fertigen.
Rainer fasst 139 Jahre Victorinox kurz zusammen: 1884 begann Karl Elsener mit einer kleinen Messerschmiede im Talkessel von Ibach. Sein Sackmesser sollte den Soldaten der Schweizer Armee im Feld dazu dienen, die anfallenden Aufgaben mit nur einem kompakten Tool lösen zu können. Über die Jahre perfektioniert Elsener die Fertigung und es gelang ihm, drei Werkzeuge auf einer Feder zu montieren – ein Novum für die damalige Zeit und der Grundstein für das Schweizer «Offiziers- und Sportmesser» von 1897. Ab 1921 wurde dann rostfreier Stahl (INOX) verarbeitet und Victorinox fand zu seinem Namen. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden US-Soldaten Gefallen an den kompakten roten Messern und nahmen sie als Souvenirs mit in die Heimat. So gelangte das Schweizer Sackmesser aus den Alpen in die Welt. Bis 1990 hatte man Mühe, der wachsenden Nachfrage gerecht zu werden. Statt aber schnell Produktionskapazitäten im Ausland zuzukaufen, setzte man in Ibach auf langsames Wachstum, Nachhaltigkeit und Qualität. Rainer findet, dass sich diese Weitsicht heute ausgezahlt hat: «Viele unserer Maschinen in der Produktion sind Eigenentwicklungen, was heute völlig untypisch ist. So sind wir unabhängig von den Unwägbarkeiten des globalen Marktes und die Messer sind zu 95 Prozent made in Switzerland.»
Wie viel Arbeit in einem Messer steckt, wird erst nach und nach deutlich: Früher wurde aufwendig geschmiedet, heute werden die Messerklingen und Einzelteile aus einem drei Millimeter starken Band aus französischem oder deutschem Stahl ausgestanzt. Anschliessend werden in riesigen Trommeln die scharfen Kanten entfernt und danach die Klingen flachgeschliffen. «Damit am Ende alles ineinandergreift und nichts klemmt, darf keine Komponente zu dünn oder zu dick sein – wir reden hier von 0.003 Millimetern!», erklärt Rainer. Wie staunende Kinder folgen die Transianer:innen ihm durch enge Gänge, während die Mitarbeitenden geschäftig ihrer Arbeit nachgehen. Es wird deutlich, dass Victorinox einen ehrlichen Einblick gewährt. Martin ist beeindruckt: «Wenn man bedenkt, welcher Aufwand hier betrieben wird, um so ein kleines Messer zu fertigen, ist der Preis, den man zahlt wirklich fair. Schön, dass so was in der Schweiz noch möglich ist!» Immer wieder hält Rainer inne, die Gäste umringen die klickenden und sirrenden Maschinen und lauschen seinen Erläuterungen. Er weiss, wovon er spricht: Seit nunmehr 30 Jahren arbeitet er bei Victorinox. «Ich habe als Botenjunge angefangen und die Post im Haus verteilt – so lernt man alle Winkel und Mitarbeitenden kennen.» Mittlerweile arbeitet er in der Leitung des Unternehmens und hält dennoch immer wieder inne, um mit den Mitarbeitenden in der Fertigung zu plaudern. Victorinox hat global expandiert – und ist am Ende doch eine kleine Familie mit 2’200 Mitgliedern weltweit.
ProduktionWeiter geht es in der Produktion: Nach dem Stanzen und Entgraten werden die Rohlinge geschliffen und in einem Ofen bei 1’050 Grad Celsius erhitzt, um ihre endgültige Härte zu erhalten. Die Stanzmaschinen produzieren 300 bis 500 Teile pro Minute. Die Mitarbeitenden setzen daraus im Schnitt jeweils 45 Victorinox Sackmesser pro Stunde zusammen. Die Transianer:innen halten zwar selbst täglich Sackmesser in den Händen, aber diese Fingerfertigkeit beeindruckt sie: Aus verschiedenen Kisten werden die mitunter winzigen Einzelteile herausgesammelt, im Licht inspiziert, gewendet und gedreht und anschliessend in die richtige Aussparung im Messer gesetzt. Rund 145’000 Messer verlassen täglich die Fabrikhallen in Ibach. Jedoch finden nicht alle Messer ihren Weg zur Kundschaft: Selbst Messer mit kleinen Makeln werden aussortiert, schliesslich schreibt man Qualität in Ibach gross. Nichts darf klemmen, keine Klinge stumpf sein. Kurzum: Man will nicht weniger als Perfektion. «Unser Erfolg liegt auch darin begründet, dass wir uns früh auf ein Kerngeschäft konzentriert haben und hier konsequent die Fertigung perfektioniert haben», ist Rainer überzeugt.
Auch die Nachhaltigkeit bestimmt die Arbeit bei Victorinox. Klingen oder fertige Messer, die die Qualitätsprüfung nicht bestehen, werden nicht entsorgt, sondern entweder recycelt, repariert oder Einzelteile davon wiederverwertet. Von den 2’200 Tonnen Stahl, die hier jährlich verarbeitet werden, sind 95 Prozent recycelt. Besonders stolz sind die Ibacher auf die Entwicklung einer Recyclinganlage, die dem Schleifschlamm vom Messerschärfen das Wasser entzieht und die Restmasse zu Briketts presst. Diese werden gesammelt und fachgerecht wiederverwertet, sodass irgendwann wieder ein Messer daraus werden kann. Auch die Verpackung besteht zu grossen Teilen aus Altpapier und wird getreu dem Motto «So wenig wie möglich, so viel wie nötig» verwendet. Victorinox geht sogar noch weiter: «Unsere kostbarste Ressource sind die langjährigen Mitarbeitenden», tönt Rainer. Entsprechend machen die Mitarbeiter:innen regelmässig Pausen, um körperlichen Leiden durch die schwere Arbeit vorzubeugen. Mehrmals täglich steht die Produktion still, damit die Belegschaft gemeinsam Dehnübungen machen kann. Der entscheidendste Punkt der Nachhaltigkeit ist jedoch die Fertigung eines Produkts, das hält, was es verspricht – und das über Jahrzehnte. «Mein Victorinox Sackmesser habe ich mir vor 30 Jahren gekauft und verwende es bis heute. Nachhaltiger geht es doch kaum», merkt Martin an.
Als die Gäste die Fabrikhallen hinter sich lassen, sind sie beeindruckt. Alle wissen einen persönlichen Moment aus dem eigenen Leben zu teilen: «Ich erinnere mich an meine Kindheit und mein erstes Sackmesser – natürlich mit Messerkette», schmunzelt Martin. «Meinen Stock zum Braten der Cervelat habe ich nicht nur angespitzt, sondern auch immer kunstvoll verziert – ä Bueb bruucht eifach ä Sackhegu!» Sei es der Stolz aufs erste eigene Messer, eine Reise durch Neuseeland mit dem Victorinox Sackmesser im Gepäck oder als handlicher Retter in manch vertrackter Situation, alle erinnern eine Anekdote. Und so wird deutlich, dass Victorinox in Ibach mehr fertigt als einen handlichen Alleskönner aus Rohstahl – man fertigt Wegbegleiter fürs Leben.
(Mit der TransaCard immer kostenlos)