Somara Frick
Von Berufes wegen ist Fischer Stefan Dasen fast immer draussen unterwegs - das schätzt er sehr. Hier erzählt er, welche Herausforderungen sein Job mit sich bringt - von garstigen Winden bis zu Konkurrenz aus der Luft.
Der Mond spiegelt sich im glatten Wasser des Bielersees, als Stefan Dasen routiniert sein Fischerboot von der Anlegestelle losbindet. Er ist um halb fünf aufgestanden. So wie er das sechs Mal die Woche tut. Die Einzigen, die er an diesem regenfreien Morgen auf dem See antrifft, sind Berufskollegen. Man kennt sich. Das ist auch nicht sonderlich schwer, schliesslich sind es gerade einmal acht Berufsfischer auf dem Bielersee. Nur drei der Patent-Inhaber sind jünger als 60 Jahre.
Stefan selbst ist seit 1997 Berufsfischer. Der 53-Jährige führt den Betrieb seines Vaters weiter. Dieser und zwei Onkel waren bereits Fischer. Als der Betrieb 1968 startete, waren die Boote zum Teil noch nicht motorisiert und Vater Dasen musste rudern oder gar die Segel setzen.
Als die Sonne langsam über die Berge klettert und Stefans Gesicht warm werden lässt, ist die Idylle perfekt. Er lebt für seinen Outdoor-Beruf und diese Momente: «Einen grossen Fisch zu fangen ist schön, aber vergänglich. Für mich zählt das Drumherum.» Und das zeigt sich nicht immer freundlich: mit garstigen Winden, hohem Wellengang und Regen. Dann kommt es vor, dass er «sturmfrei» hat. Aber immer, wenn Stefan auf dem See unterwegs ist, ist er entspannt. «Der Bielersee ist für mich ein Ort, um zu verarbeiten, neue Ideen zu gewinnen und mein Ausgleich.»
So zieht er mit viel Ruhe geübt die Fischernetze aus dem Wasser, sogenannte Stell- und Schwebenetze. Beim passiven Fischen bleiben in der Regel nur die gewünschten Fische hängen. Die anderen können durchschwimmen, und wenn es doch Beifang gibt, ist das für Stefan kein Wegwerfprodukt, im Gegenteil: «Weissfisch ist ein typischer Beifang und eignet sich für Fischknusperli. Diese verkaufen wir auch sehr viel.» An diesem Morgen gehen auch Egli, Zander und Felchen in die verschiedenen Netze. Der Bielersee ist ein vielseitiges Gewässer, auch Hecht wird gefangen. Hauptsächlich sind es aber Felchen. Etwa 30 bis 40 Kilogramm Fisch zieht Stefan pro Tag aus dem See.
Zu fischen, ohne sich um den Fortbestand der Arten zu kümmern, wäre Unsinn. Über kurz oder lang würde es das eigene Geschäft kaputtmachen. Stefan setzt sich für eine nachhaltige Fischerei ein, verteilt Laichhilfen an guten Standorten für Egli und Zander. Das sind zum Beispiel ausgemusterte Weihnachtsbäume oder sogenannte Laichbürsten, die versenkt werden. Sie sollen helfen, dass die Eier nicht im Grund verschlammen. Die künstlichen Laichhilfen werden nach der Laichzeit wieder geborgen. Es gibt vorgeschriebene Schonzeiten und Fangmindestmasse, die eingehalten werden müssen. Auch wird engmaschig kontrolliert, ob die richtigen Jahrgänge gefischt werden. Anhand der Schuppen lässt sich das Alter der Fische bestimmen.
Doch die Regulierungen gelten nicht für alle. Stefan schaut in den Himmel: Kormorane, eine der grössten Herausforderungen im Fischereialltag. Die Vogelart ist zwar jagdbar, aber für die Jägerinnen und Jäger nicht sonderlich attraktiv. Vor mehreren Jahrzehnten hat sie sich hier eingenistet. Allein am Neuenburgersee seien es mittlerweile etwa 2’000 Brutpaare, sagt Stefan. «Diese Kormorane fressen übers Jahr drei Mal mehr Fische, als die Fischer aus dem Neuenburgersee entnehmen.» Ihn frustriert das. Als Fischer pflegt er den Bestand, hält sich an alle Vorschriften und bemüht sich um einen nachhaltigen Fischbestand. «Ich sehe auch frappante Schäden bei kleineren Bächen und Flüssen, in denen Fische durch Wasser- und Sauerstoffknappheit sowieso schon ums Überleben kämpfen.» Eine mögliche Lösung wäre, die Brutplätze der Kormorane zu regulieren. Ein schwieriger Austausch zwischen Behörden, Fischerei- und Vogelschutzverbänden.
Als er mit vollen Kühlkisten zurück Richtung Land steuert, fliegt ein kleiner Möwenschwarm über ihm. Lauthals kreisen sie über dem Boot. «Die kennen mich», meint Stefan. Angezogen vom Fisch in den Kisten hoffen sie, dass etwas für sie abfällt. Am kleinen Privathafen angekommen, wird er schon empfangen. Ein wunderschöner Graureiher sitzt auf der Anlegemauer. Auch er wartet jeden Morgen hier und hofft auf die Gunst von Stefan. In diesem Moment ist spürbar, wie naturverbunden der Familienvater ist: «Ich liebe es, hier draussen zu sein.»
Am Ufer ist das Wasser eher sumpfig und voller Algen. Auf die Wasserqualität angesprochen meint Stefan: «Grundsätzlich ist diese über die letzten Jahre besser geworden und die Fische sind gesünder.» Früher war der See trüb und braun. Stefan macht die Wasserqualität aber nicht an der Klarheit des Sees fest. Vielmehr brauche dieser genügend Nährstoffe und dazu das richtige Verhältnis von Phosphor und Stickstoff. «Niederschläge und Hochwasser bringen Nährstoffe ins Wasser.» Sichtbar wird das an mehr Algen im See, der Grundnahrung für Plankton. Dieses ist wiederum essenziell für gewisse Felchenarten. Dass Felchen in den letzten Jahren langsamer wachsen und erst viel älter gefischt werden können, hat für Stefan klar mit den Nährstoffen zu tun. Besorgt fügt er an: «Wie sich chemische Fremdstoffe aus Landwirtschaft, Medikamenten oder der Bauindustrie in unseren Gewässern auf Dauer auswirken, ist noch nicht vorhersehbar.»
Die Lebensbedingungen der Fische verändern sich und Stefan stellt immer wieder fest: Die Natur passt sich der Umgebung und auch den klimatischen Veränderungen an. Das muss nicht immer ein Nachteil sein, so gefällt es Wels und Zander besser in wärmerem Gewässer. In der Konsequenz bedeute das aber auch, dass nicht mehr die gleichen Fische als heimisch gelten wie noch vor 50 Jahren. Umso wichtiger ist es für Stefan, den Gewässern Sorge zu tragen. Er wünscht sich mehr Verständnis für die Bedürfnisse der Fische, aber auch deren Nutzung. Die Existenz seines Berufs hängt schliesslich davon ab: «Ohne Fisch gibt es keine Fischer.» Der Berufsstand der Netz-Fischenden hat es schwer. Seit Jahren ist die Zahl sinkend: In der Schweiz sind knapp 150 Personen Vollzeit tätig, weniger als zehn Prozent sind Frauen. Staatliche Subventionen, wie beispielsweise in der Landwirtschaft, gibt es für diese Berufsgattung keine.
Es ist inzwischen neun Uhr und Stefan macht sich auf den Weg in die Fischerei. Dort wird der heutige Fang weiterverarbeitet und abgepackt, bevor er zum Verkauf angeboten wird. Stefan vermarktet ausschliesslich direkt. Dabei hilft er auch im Partyservice mit: «Dort erhalte ich direkte Reaktionen auf mein Produkt.» Schnell wird klar: Hier ist viel Leidenschaft im Spiel und kein Platz für Beschwerden über lange, harte Arbeitstage. «Ich würde diesen Beruf jederzeit wieder wählen.» Es fasziniert ihn, dass er von der Natur leben kann. Bis jetzt gibt es noch keine Nachfolgelösung für den Betrieb. Stefan scheint auch das nicht aus der Ruhe zu bringen: «Ich will nicht bis ans Lebensende fischen. Wenn es nicht mehr rentabel ist, dann finde ich etwas Neues, was mir gefällt.» Auf die Frage, was jemand, der oder die beruflich fischen möchte, mitbringen muss, klingt Stefan, als würde er einen klassischen Stellenbeschrieb zitieren: «Viel Flexibilität und lösungsorientiertes Denken und Arbeiten.» Lachend fügt er an: «Und eine gute Portion Grundoptimismus gehört definitiv auch dazu.»
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