Somara Frick, Bircher Media
Von der Aussenseiter- zur Trendsportart: Bouldern begeistert heute ein breites Publikum. Doch wie sahen die Anfänge der Schweizer Boulderszene aus? Transianer Alex besuchte auf seiner Recherche drei alte Boulderräume in der Innerschweiz. Ihre Besitzer René, Luk und Dodo berichten von einer Zeit ohne Crashpads und Run-and- Jumps, dafür aber mit ganz viel Charme.
Vorbei an einer probenden Punkrock-Schulband und einem Stapel aufgerollter Orientteppiche finde ich eine düstere Hintertür. Ein Five-Ten-Poster klebt schräg darauf. Hier muss ich richtig sein. Ich stecke den für 200 Franken erworbenen Schlüssel ins Schlüsselloch und verschaffe mir zum ersten Mal Zutritt zur «Teiggi», einem hohen, düsteren Boulderraum in Kriens. Es ist das Jahr 1998 und der Raum ist hier in der Gegend der erste seiner Art. Aus dem Aschenbecher qualmt es süsslich. Ich lösche den Minibrand, klicke den Play-Knopf der Hifi-Anlage und wage mich zu «Best of Metal» an die weisse Wand mit den künstlichen Griffen.
Die ersten Boulderhallen der Schweiz wurden gebaut, um an Regentagen für die Wände draussen zu trainieren. «Wer ausschliesslich gebouldert hat, wurde damals von den Bergsteigern belächelt», meint René Schweizer, der mit seiner 1989 gebauten «Teiggi» ein Pionier in Sachen Boulderhallen war. «Nicht wenige Male wurde ich ernsthaft gefragt, ob ich denn so für die Eiger-Nordwand trainiere.»
Früher schraubte man alles an die Wände, was sich zum Festhalten anbot: Wallhölzer, Teppichleisten, Steine, Zaunlatten. Wer es genauer nahm und einen Griff vom Fels nach drinnen bringen wollte, modellierte ihn mit Beton oder Sika nach. «Die Kanten solcher Griffe waren grob und scharf und die Schmerztoleranz musste beim Bouldern oft höher sein als die Griffkraft», weiss Luk Gisler, in dessen Boulder-Estrich im Kanton Uri ein Sammelsurium an Griffen die Wände ziert.
Dreissig Jahre später hat die Grifflandschaft eine rasante Evolution hinter sich: Ecken wurden rund, Kanten anatomisch geformt und mächtige Volumen sind dazugekommen. Der letzte Schrei: Dual Texture, also Griffe mit einer glatten und einer rauen Oberfläche. Aus maximalkräftigen Traversen und kleingriffigen Routen wurden spielerische Run-and-Jumps, Dynamos und anspruchsvolle koordinative Bewegungen. Nicht mehr Zugkraft allein entscheidet, wer heute in der Boulderhalle triumphiert, sondern Beweglichkeit und Körperspannung. So sind Griffe und Routen Zeugen davon, wie sich das Indoorbouldern komplett vom Bouldern am Felsen gelöst und in eine neue Richtung entwickelt hat.
«Unter den Wänden lagen bei uns damals nur orientalische Teppiche. Und die waren Deko», schmunzelt René. Crashpads waren selten erhältlich und dicke Turnmatten zu teuer. Wer boulderte, musste sich schon zweimal überlegen, ob er einen schwierigen Zug wagen wollte. In Dodos Boulderhalle in Emmenbrücke lagen allerdings schon seit der Erbauung im Jahr 2000 ausrangierte Matratzen. Doch wer beim Absprung ungeschickt zwischen ihnen landete, verstauchte sich auch mal einen Fuss. «Schwere Verletzungen hatten wir aber nie», erinnert sich Dodo, der seit über zwanzig Jahren jede Woche mehrmals im Boulder-Estrich trainiert.
fand den Zugang zum Klettersport als 12-Jähriger in den staubigen Boulderräumen der Innerschweiz. «Bouldern ist mehr als ein Sport, da steckt eine Kultur dahinter», weiss er aus Erfahrung. Und in ebendiese will er Einblick geben. Bei Transa ist er für den Klettershop verantwortlich und berät in der Filiale Luzern.
Weil die Trainingslehre der noch jungen Sportart kaum entwickelt war, wurden korrektes Aufwärmen und Ausgleichstraining in den Anfangszeiten weniger hoch priorisiert als heute. Alte Klettermagazine raten dem Lesenden zu ein paar Dutzend Klimmzügen am Tag. Aber eigentlich war das Bouldern selbst das Training für das Klettern draussen.
Etwas blieb in den letzten Jahrzehnten fast unverändert. In den alten Boulderräumen sind die Wände voll mit Griffen ohne die heute üblichen Farben, Markierungen und Schwierigkeitsbewertungen. Eine zufällige Griffreihenfolge wurde definiert und bei erfolgreicher Begehung die besten zwei Griffe mit schlechteren ersetzt. Dabei diente der Besenstiel als bewährtes Hilfsmittel, um einander während des Boulderns den nächsten Griff oder Tritt anzuzeigen. Andere Abfolgen wurden mit Marker unter die Griffe gezeichnet. Diese Wände gibt es heute immer noch. Jetzt heissen sie Spraywall, Moonboard oder Kilterboard. Die Digitalisierung hat Einzug gehalten und statt des Besenstiels weisen nun kleine Lämpchen den Weg und lassen sich mittels App steuern.
Seitdem der Bouldersport 1998 Einzug in den Weltcup gehalten hat, setzt der Wettkampf hinsichtlich Routenbau und Wanddimensionen immer wieder neue Massstäbe. Während viele Kletterhallen die Innovationen adaptieren, beobachtet Luk einen Trend zurück zu den Anfängen: «Ich glaube, Bouldern geht zum Teil eher wieder Richtung Old School.» Dodo war seit Jahren nicht mehr in einer kommerziellen Halle und macht sich nichts aus den Wettkampf-Trends. René hingegen glaubt an noch ausgeklügeltere Materialien, ästhetischere Routen und mehr LED.
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