Jonas Jäggy
Der Bavellapass ist ein Traum für jeden Kletterer. Unglaublich gutmütig strukturierter Tafoni-Fels, eine malerische Landschaft und Kletterrouten en Masse. Wer etwas mehr Abenteuer sucht, der wird an den Aguilles de Bavella fündig. Pesche und Kathrin haben eine echte Perle für dich herausgesucht.
In der wohl schönsten Morgenstimmung, die Korsika zu bieten hat, steigen wir vom Col de la Bavella aus etwa 30 Minuten in Richtung Punta di L'Acellu hoch. Starten tun wir bei der bekannten Madonna-Satue. Nach fünf Minuten folgen wir der alpinen Variante des GR 20. Der Sonnenaufgang lässt die Felsen der Aguilles de Bavella in einem warmen, orangen Licht erscheinen. Diese Stimmung ist sehr vielversprechend. Wir freuen uns auf den Fels, das Klettern, Adrenalin und die gleichzeitige Ruhe der Natur.
Dann stehen wir vor diesem Massiv; es scheint zu sagen: «Ich dominiere hier die Region». Wir entscheiden uns für die Route La Masino. Die Route, mit ihrem Risssystem, ist gut ersichtlich und schlängelt sich durch die ganze Wand. Ich kenne die Route von früher. 1996 besuchte ich diesen, für mich magischen Ort, das erste Mal mit Gästen. Jetzt, zwanzig Jahre später, kommt die Erinnerung beim Anblick der Risse wie von selbst. Sie erzählt von einer technisch anspruchsvollen Rissverschneidung im Grad 6a für die erste Seillänge. Das für diese Route notwendige Material legen wir säuberlich neben den Rucksack, ziehen die Klettergurte über und öffnen das Doppelseil. Ich hänge die grossen Friends (Cams) links an den Gurt, die kleinen rechts - so bin ich es mir gewohnt. Auch Karabiner und Exen, Standschlinge und Sicherungsgeräte haben ihren Platz. Helm auf, Partnercheck und endlich kanns losgehen…
In Anbetracht des “Kaltstartes” und dem Wissen um Katrins Wärme - respektive Kälteempfinden, entschliesse ich mich dazu, die erste Seillänge von rechts über ein Band zu umgehen. Über eine 3 Meter Stufe im dritten Grad erreiche ich das Band und traversiere dieses zum ersten Stand links. “Katrin, nachkommen!” rufe ich nach unten und ziehe das Seil ein. Nach fünfzig Meter einziehen blicke ich verdutzt auf zwei leere Seilenden und fünf Meter dahinter auf eine lachende Katrin. Sie habe die Zeit nicht mehr gehabt, sich einzubinden. Uff…das beginnt ja gut.
Die Sonnenstrahlen wecken schon bald unsere Glieder und ein, zwei Riegel helfen gegen das aufkommende Hungergefühl. Der Fels fühlt sich grossartig an: Tafoni, eine Verwitterungsform, die in verschiedenen Gesteinen vorkommen kann. Die Tour ist abwechslungsreich und man kann zwischen verschiedenen Varianten entscheiden.
Die Route verlangt einen etwas höheren Einsatz, als das blosse Klicken von Exen in die Bohrhaken. Viele der Zwischensicherungen müssen selber gelegt werden und ein sicheres Steigen im Grad 5b ist Voraussetzung, um den Spassfaktor hoch zu halten. In der vierten Seillänge zeigt ein Kamin die logische Linie direkt über unseren Köpfen. Aber da wird der Grad 6b und die Abriebfestigkeit unserer Kleider verlangt. Zum Glück gibt es acht Meter weiter rechts eine Variante, die von unten zwar einiges schwieriger ausschaut, sich aber über grosse Löcher elegant überlisten lässt.
Jeder Heldenbericht findet auf dem Höhepunkt sein Ende. Prinzen heiraten Prinzessinnen, Karriereaufsteiger sonnen sich auf der Höhe, Schauspieler werden nie alt…
Um dem Ganzen ein Happy End zu geben, soll hier auch der Abstieg erwähnt sein. Vom Gipfel beginnt ein mit Steinmännchen markierter Weg rechtshaltend über steile Schroffen. Dieser endet nach 100 Meter bei einer Abseilstelle. 30 Meter gleitet man am Seil zum Fusse eines offenen Kamins, einer Art vertikalen Schlucht, die sich nach rechts runter zur Basis der Wand zeiht. Abklettern im zweiten Grad ist dort verlangt. Wer möchte, kann auch über die Route abseilen. Das verlangt aber die doppelte Zeitberechnung, also eine Stunde.
Zustieg: Von der Madonna-Statue auf dem Pass westwärts auf dem GR 20. Nach etwa fünf Minuten folgst du der alpinen Variante auf der rechten Seite, markiert mit zwei gelben Linien.
Kletterroute: La Masino. Klassische Linie in hervorragendem Tafoni-Gestein (eine Art Granit mit Lochstruktur) entlang eines ausgeprägten Risssystems.
Schwierigkeit: 6b (5b obligatorisch), Beherrschen der Trad Technik, gute Vorstiegsmoral und sauberes Klettern im Grad 5b.
Erlebnisprofil: Wunderschöne, sehr abwechslungsreiche Route mit einem Hauch Abenteuer. Viele der Zwischensicherungen müssen selber gelegt werden, sind aber meist einfach anzubringen. In der vierten Seillänge empfehle ich die 6a-Variante, die leicht rechts über einen genialen Überhang zu ausgeprägten Löchern führt, es sei denn, der Vorsteiger liebt ein etwas abdrängendes Kamin, das in direkter Linie zum Stand führt.
(Mit der TransaCard immer kostenlos)