Urs Weber
Über 1100 Kilometer zieht sich der Shvil der Länge nach durch Israel. Ein Weitwanderweg par excellence, sogar während oder gerade wegen der Pandemie, sagen Urs und Claudia Weber.
Wunder #1 – Die Einreise nach Israel erfolgt ohne Probleme. Schon unter normalen Bedingungen gilt die Grenze des kleinen Landes am Mittelmeer als eine der härtesten der Welt. Nun ist es März 2020, zwei Tage bevor Israel sich komplett nach aussen gegen die Corona-Pandemie abriegelt. Trotz unserer prall gefüllten Trekking-Rucksäcke, die uns zwangsläufig als Touristen outen, spuckt uns der Flughafen ohne Quarantäne-Anordnung aus.
Israel und seine Bewohner faszinieren uns schon lange. Ein Buch brachte uns schliesslich auf die Idee, das Land auf einem 1100 Kilometer langen Trail vom Roten Meer bis zur libanesischen Grenze zu erlaufen. Der Shvil wird als Israel National Trail bezeichnet und «National Geographic» führt ihn unter den schönsten Fernwanderwegen weltweit. Eine Route, die grosse Städte vermeidet, und mit der Negev-Wüste durch eine archaische, einsame Landschaft führt.
Für die ersten Wochen unserer Tour ist die Wasserversorgung nicht gesichert. Schon vor der Pandemie war für uns klar, dass wir uns in der Wüste nicht auf andere verlassen wollen. Zehn Foodpakete deponieren wir vor dem Start mit einem geländegängigen Mietwagen auf der 470 Kilometer langen Wüstenstrecke. Meistens finden wir Menschen, die sie bei sich verwahren, pandemiebedingt ist dies aber nicht immer möglich und so vergraben wir einige Pakete.
Guten Mutes starten wir von Süd nach Nord auf den Shvil. Es ist Liebe auf den ersten Blick – die Wüste und wir. Wir fühlen uns sofort zu Hause. Einsamkeit, gewaltige Ausblicke und enge Täler mit steilen Aufstiegen begleiten uns ins erste Camp. Wir schlagen unser Zelt auf und treffen auf Annette – eine Aussteigerin aus Griechenland.
Die folgenden Tage sind wir sehr dankbar, dass wir uns körperlich so gut vorbereitet haben und wir von Transa super beraten wurden. Die Ausrüstung funktioniert. Das Wiederfinden der Foodpakete klappt problemlos. Abends chillen wir Senioren mit den jungen Israelis am Lagerfeuer. Zwischen dem verpflichtenden Militärdienst und dem Studium schieben sie den Trail ein.
Wunder #2 – Schon bald naht mein Geburtstag. Ich wünsche mir zwei Dinge: einen Badepool und eine Überraschung im Wanderalltag. Letztere erscheint schon am Morgen: Eine deutschsprachige Männergruppe, die wir kreuzen, singt «Happy Birthday». In der Abendsonne entdecken wir später ein kleines Wadi mit einem Wasserloch zum Baden. Geburtstag sollte jeden Tag sein.
Bald erreichen wir Shizafon, eine Oase mitten in der Negev. Dort wartet eigentlich ein Restaurant und damit die Möglichkeit, Wasser und Nahrung aufzufüllen. Jedoch ist es Corona-bedingt geschlossen. Für Mitwanderin Annette heisst das: Ihre Tour ist hier zu Ende. Sie steigt traurig in den Bus, da sie keine Möglichkeit hat, sich weiter zu versorgen. Wir haben unsere Foodpakete gut kalkuliert, können etwas rationieren und so auch die geschlossenen Restaurants und Shops kompensieren.
Wahrlichen Engeln begegnet man auf dem Shvil fast täglich. Die Trail Angels haben es sich normalerweise zur Aufgabe gemacht, Wanderern aus Gastfreundschaft eine Unterkunft zu gewähren. Meist haben sie selbst eine Beziehung zum Trail, sind die Strecke in Teilen oder ganz gelaufen. Apropos Hilfsbereitschaft: Als uns eines Tages das Essen knapp zu werden droht, kommt ein Jeep aus dem Nichts. Wir bitten um etwas Essbares und bekommen ein All-inclusive-Abendessen ans Zelt.
Aufgrund der Pandemie schliessen immer mehr Unterkünfte. Es wird sehr einsam auf dem Trail. Wir geniessen die Landschaft und sind insbesondere am Vardit Canyon sehr froh um die Einsamkeit. Denn anders als im Führer beschrieben sind die Pools randvoll mit eiskaltem Wasser. Klamotten aus und durchschwimmen ist die einzige Option.
Nach rund zwei Wochen auf Tour erreichen wir Mitzpe Ramon – eine Kleinstadt mit touristischer Infrastruktur. In Israel gilt nun ein harter Lockdown. Auf den Übernachtungsplätzen sind wir mausbeinallein. Nur einmal stören wir einen Wasserdieb, der sich an den professionell angelegten Depots für die Shvilisten zu schaffen macht. Mit seinem Quad macht er sich schnell aus dem Staub.
Wunder #3 – Es gibt drei Dinge auf der Tour, die uns nicht ausgehen sollten: Wasser, Nahrung und WC-Papier. Bei Letzterem fällt das Haushalten besonders schwer. Als es knapp wird, hoffen wir, dass wir einen offenen Laden, einen Trail Angel oder Ersatz finden. Am nächsten Rastplatz liegt auf wundersame Weise eine vergessene Rolle – vollkommen unangetastet – auf einem der Picknicktische.
Vor uns erstreckt sich der Ramon-Erosionskrater, gigantische Felswände türmen sich auf. Eine eindrucksvollere Kulisse kann man sich kaum vorstellen – absolute Ruhe, Natur pur, Sternenhimmel. Da es in diesem Winter so viel geregnet hat, blüht die Wüste so üppig wie seit Jahren nicht mehr. Wir geniessen und staunen, was alles aus diesem trockenen Nichts herausspriesst.
Ab Arad verändert sich die Natur schlagartig. Aus der Wüste werden sattgrüner Wald und saftige Wiesen. Der Kontrast könnte nicht grösser sein. Nun führt der Shvil durch lauschige Täler und über sanfte Hügel. Wir fühlen uns fast wie daheim – nur grasen hier Kamele. Unser Trailguide gibt an, dass nun die Nahrungsmittelversorgung kein Problem mehr sei. Doch in Zeiten von Corona ist dies anders: Wir müssen Umwege laufen, und auch die Wasserhähne in den Naturparks wurden abgestellt. Die Wegführung des Shvil – nah an der Zivilisation vorbei, doch nicht mittendurch – ist Segen und Fluch gleichzeitig.
aus Bubendorf (BL) verdienen ihr Geld als Architekt und im sozialen Bereich. Ihre Liebe fürs Trekking und Zelten in der freien Natur haben sie auch an ihre beiden erwachsenen Söhne weitergegeben. Für den Shvil hatten sie sich drei Monate Zeit freigeschaufelt. Corona drohte alle Pläne zu durchkreuzen.
Wunder #4 – Aber auch hier erleben wir Gunst. Eines Morgens haben wir grossen Appetit auf Süsses. Doch fünf Kilometer Umweg für Schoki wollen wir nicht auf uns nehmen. Es wird geschmollt. Kurz darauf hält ein Jeep-Fahrer an und fragt uns, ob wir was brauchen? Und ob! Er gibt uns Schokoriegel und fährt nach Hause, um noch mehr zu holen.
Wir sind immer wieder tief berührt von der Gastfreundschaft. Kurz vor Tel Aviv werden wir von äthiopischstämmigen Israelis zum Barbecue eingeladen. Tage später serviert uns eine Beduinenfamilie Tee und dann ein vollständiges Menü. Die Einladung in Herzlia, wo wir einen gediegenen Abend auf einer Dachterrasse verbringen, endet mit herzlicher Freundschaft und dem Versprechen, wiederzukommen.
Der Lockdown wird gelockert. Sport im Freien ist wieder erlaubt. Als Wanderer fallen wir nun nicht mehr auf. Vor dem Mount Meron, einem der höchsten Berge Israels, werden wir kurz aufgehalten. Zum Festtag Lag baOmer wurde der Berg aufgrund des zu erwartenden Pilgeraufkommens weiträumig gesperrt. Die Polizei lässt uns dennoch passieren und gibt uns sogar noch Wasser. Wer bis hierhin gekommen ist, dem wollen sie sich auch nicht in den Weg stellen.
Wunder #5 – Mitte Mai, zwei Tage vor der ersten Hitzewelle des Jahres mit über 40 °C, erreichen wir voller Freude den Kibbuz Dan unterhalb des Hermon-Gebirges an der Grenze zum Libanon. Zwei Tage zuvor durften alle Unterkünfte wieder öffnen und so können wir nun noch zwei Wochen «Urlaub» am Mittelmeer anschliessen.
Den Rückflug hatten wir von Anfang an nicht gebucht. Immer wieder haben wir davon gesprochen, dass wir mit dem letzten Flugzeug eingereist sind und mit dem ersten wieder abreisen werden. Und so wird es auch kommen – das letzte Wunder unserer Tour.
(Mit der TransaCard immer kostenlos)