Milan Rohrer
Tonja und Milan sind keine Velo-Freaks. Trotzdem brachen sie zu einer sechsmonatigen Veloreise bis nach Kirgistan auf. Hier erzählen sie, wie sie sich vorbereitet haben, warum sie bewusst langsam unterwegs waren und wieso ihnen die Begegnungen am Wegesrand so wichtig waren.
Was macht den Reiz einer Veloreise aus?
Tonja: Das Velo bietet aus meiner Sicht eine sehr authentische Art zu reisen: Man ist in direktem Kontakt mit der Natur und den Menschen. Ausserdem ist man umweltfreundlich unterwegs, was uns wichtig ist. Die Geschwindigkeit ist perfekt: Man ist langsam genug, um die Umwelt und die Landschaft zu geniessen, aber schnell genug, um auch mal Strecke zu machen.
Milan: Für mich als Fotograf war die Geschwindigkeit auf dem Velo fast zu hoch. (lacht) Manchmal wartete hinter jeder Kurve ein neues Motiv, wir konnten aber natürlich nicht alle 500 Meter anhalten.
Könnt ihr euren Trip in Zahlen zusammenfassen?
M: Klar, wir waren 193 Tage, also rund sechs Monate, unterwegs. In dieser Zeit sind wir von der Schweiz bis in den Osten von Kirgistan gereist. Insgesamt haben wir 6455 Kilometer auf dem Velo zurückgelegt. Einige Teilstücke haben wir per Zug, Fähre und Bus überbrückt – leider mussten wir wegen Corona von Georgien nach Usbekistan und aus Kirgistan zurück nach Hause fliegen. Rund ein Drittel der Nächte haben wir im Zelt verbracht, den Rest in verschiedensten Unterkünften oder bei Menschen, die wir unterwegs kennengelernt haben.
T : Wir waren ganz bewusst eher langsam unterwegs, weil wir richtig in die Kulturen eintauchen und die Natur geniessen wollten.
Wie habt ihr euch konditionell vorbereitet?
T : Wir haben nicht bewusst trainiert oder so. Wir sind einfach davon ausgegangen, dass sich die nötige Kondition während der Tour von alleine aufbaut – und genau so war es dann auch.
M: In den Jahren zuvor hatten wir schon kleinere Veloreisen unternommen, waren 2018 im Piemont und 2019 in Kroatien unterwegs. Wir hatten also schon ein paar Erfahrungen gesammelt und konnten dadurch grob einschätzen, welche Distanzen realistisch für uns sind.
Konntet ihr einfach sechs Monate freinehmen?
T : Ich habe für die Reise meinen vorherigen Job gekündigt und wollte ursprünglich sogar ein ganzes Jahr unterwegs sein. Dann habe ich aber unterwegs eine Stelle als Permakultur-Gärtnerin angeboten bekommen und angenommen.
M: Als freischaffender Fotograf und Industriedesigner musste ich mir nicht freinehmen. Ich habe für den Zeitraum einfach keine neuen Aufträge angenommen. Aber wie es der Zufall will, kam während der Reise dann ein Auftrag rein, auf den ich schon lange gehofft hatte. Den konnte ich dann einfach von unterwegs aus abarbeiten.
Könnt ihr grob sagen, wie viel der Trip gekostet hat?
M: Insgesamt circa 1000 Franken pro Person pro Monat. Unsere laufenden Kosten in der Schweiz haben wir während der Reise auf ein Minimum reduziert, zum Beispiel, indem wir unsere Wohnung in Zürich untervermietet haben. Dafür sind uns unterwegs aber natürlich Reisekosten für Züge, Fähren und Flüge entstanden.
Wie seid ihr auf Kirgistan als Ziel gekommen?
T : Ursprünglich wollten wir der Seidenstrasse entlang bis nach China reisen, um dann mit der Transsibirischen Eisenbahn zurückzufahren. Bis zum Schluss haben wir gehofft, dass unser «Traumland» Iran die wegen der Pandemie geschlossenen Grenzen doch noch öffnet – was jedoch leider nicht geschah. Durch Corona waren wir relativ oft gezwungen zu improvisieren und umzuplanen, dafür entstanden aber auch viel mehr schöne Zufälle. Der Yssykköl-See im Osten Kirgistans ist dann eher zufällig das Ziel geworden.
Wie schwer waren eure voll bepackten Velos?
M: Wir hatten jeder circa 30 Kilogramm Gepäck dabei. Mein Velo wiegt 18 Kilogramm, Tonjas 15 Kilogramm. Fahrfertig kamen wir also auf 45 bis 50 Kilogramm pro Person. Ich habe das Zelt, den Laptop und die Ersatzteile übernommen, Tonja dafür fast das komplette Essen. Das Gewicht hat aber natürlich variiert, je nachdem wie viel Nahrung und Wasser wir an dem jeweiligen Tag mitgeführt haben.
Stichwort Ersatzteile: Hattet ihr viele Pannen?
T : Nein, die Pannen haben sich sehr in Grenzen gehalten. Ich hatte beispielsweise keinen einzigen Platten, weil ich auf sehr robusten Marathon-Reifen von Schwalbe unterwegs war. Milan dagegen musste ungefähr zehn Platten flicken. Trotzdem hatten wir relativ viele Ersatzteile dabei: unter anderem zwei Bremsscheiben, sechs Bremsbeläge, ein Set zum Entlüften der Bremsen, eine Ersatzkette, mehrere Schläuche, Ersatzspeichen, Schrauben, Bremskabel und natürlich Werkzeug.
M: Die grössten Probleme haben uns lustigerweise unsere Ständer bereitet, also ein ziemlich banales Bauteil: Durch das hohe Gewicht der bepackten Velos sind die immer wieder kaputtgegangen. Wir waren in unzähligen Werkstätten deswegen, aber keine Reparatur hat auf Dauer gehalten. Rückblickend wäre ein Mittelständer die bessere Wahl gewesen.
Wie viele Pausentage sollte man bei so einer langen Strecke einplanen?
T : Von den 193 Tagen haben wir 71 Tage keine längeren Strecken auf dem Velo zurückgelegt – wir haben uns also wirklich Zeit gelassen. In der Türkei wurden wir an manchen Tagen gefühlt zehnmal von Fremden auf einen Çay eingeladen. Solche Begegnungen sind schlicht nicht möglich, wenn man einen straffen Zeitplan hat. Aber natürlich sind wir auch anderen Veloreisenden begegnet, die deutlich schneller unterwegs waren.
Milan (33) & Tonja (32)
Tonja ist Permakultur-Gärtnerin, Milan freischaffender Fotograf und Industriedesigner. Die beiden wohnen in Zürich. Zu ihrer sechsmonatigen Veloreise nach Kirgistan brachen sie im März 2021 auf. Ursprünglich wollten sie die gesamte Reise ohne Flugzeuge bestreiten. Dieser Plan wurde von coronabedingt geschlossenen Grenzen durchkreuzt. Auf ihrem Blog finden sich unzählige weitere Fotos und ausführliche Berichte von ihrem Abenteuer.
Leichte und schnelle Gravelbikes, also Rennvelos mit geländetauglichen Reifen, sind voll im Trend. Warum habt ihr euch für robuste Trekkingvelos entschieden?
M: Für uns war von Anfang an klar, dass wir lieber zu viel als zu wenig Ausrüstung mitnehmen. Geschwindigkeit hat bei der Planung nie wirklich eine Rolle gespielt. Wir haben uns für ein bisschen mehr Komfort entschieden und Wert auf Zuverlässigkeit gelegt.
Milan, du warst mit einem Riemenantrieb und einem Pinion-Getriebe anstatt eines Antriebs mit Kettenschaltung unterwegs. Hat sich das bewährt?
M: Prinzipiell ja. Ich hatte jedenfalls keine Pannen und das Getriebe hat völlig problemlos seinen Job gemacht. Der Vorteil von dieser Variante ist, dass sie langsamer verschleisst und dass man kein Schaltwerk hat, das sich verstellen oder kaputtgehen kann. Aber: Auch an meinem System, vor allem an den Riemenscheiben, war nach der Reise Verschleiss erkennbar und der Riemen hat unterwegs immer mal wieder fiese Geräusche von sich gegeben.
Wie habt ihr eure Tagesetappen geplant und unterwegs navigiert?
M: Zu Beginn der Reise hatten wir noch detaillierte Papierkarten dabei. Irgendwann haben wir aber nur noch mit Komoot auf dem Smartphone und einem GPS-Gerät geplant und navigiert. Die Karten in der App basieren auf Openstreetmap (Anm.: Community-Projekt, das Geodaten sammelt, strukturiert und für die Nutzung in einer Datenbank vorhält) und sind deswegen selbst in entlegenen Regionen bis auf wenige Ausnahmen sehr präzise. Zusätzlich haben wir uns in jedem Land eine Übersichtskarte in Papierform besorgt, um die groben Ziele zu definieren.
Welche Ausrüstungsgegenstände waren besonders praktisch und welche eher unpraktisch?
T : Wir hatten eine einfache Schaumstoff-Isomatte dabei – die war extrem nützlich. Wir haben bei so gut wie jeder Pause oder beim Kochen darauf gesessen. Wenn der Untergrund steinig war, haben wir die Matte unter unser Zelt gelegt, damit der Zeltboden nicht beschädigt wurde.
M: Wir waren mit einem Tunnelzelt von Hilleberg unterwegs. Teilweise war der Boden so hart, dass wir kaum einen Hering einschlagen konnten. Beim nächsten Mal würde ich deshalb ein freistehendes Kuppelzelt wählen.
Welches Land war am «Velo-freundlichsten»?
T : Die Türkei hat uns sehr positiv überrascht. Die Hauptstrassen haben dort fast durchgehend einen drei Meter breiten Seitenstreifen, auf dem man sehr komfortabel fahren kann. Vor allem in Usbekistan und in der Türkei wurden wir täglich von vorbeifahrenden Autos freundlich angehupt oder die Leute riefen uns aus den Autos etwas zu, um uns anzuspornen – das hat unserer Motivation gutgetan.
Wie lang war die längste Tagesetappe?
T : 129 Kilometer. Das war am vorletzten Tag unserer Reise, auf dem Rückweg vom Yssykköl-See zurück in die Hauptstadt Bischkek. Im Schnitt haben wir an den Fahrtagen circa 50 Kilometer zurückgelegt.
Gab es Tiefpunkte während der Reise?
T : Tiefpunkt klingt mir zu drastisch, aber natürlich gab es auch mal kleinere Rückschläge. In Georgien bin ich einen Tag lang ohne die wasserdichten Hüllen über den Schuhen im Regen gefahren – und habe mir prompt eine Entzündung am Fuss eingefangen. Das war schmerzhaft, hat mich eine ganze Weile beschäftigt und wir mussten deswegen zwischendurch auch etwas pausieren.
Ihr habt oft bei Fremden zu Hause übernachtet. Wie kamen diese Einladungen zustande? Seid ihr einfach immer mit der erstbesten Person mitgegangen?
M: Speziell in der Türkei und in Usbekistan war die Gastfreundschaft überwältigend. Selbst in den entlegensten Regionen dauerte es meist nur ein paar Minuten, bis wir von Menschen umringt waren. Teilweise haben mehrere Familien wild darüber debattiert, wer uns beherbergen darf. Wir haben den Eindruck gewonnen, dass speziell die Menschen in den muslimisch geprägten Länder besonders gastfreundlich waren. Und oft galt: Je ärmer die Menschen, desto offener und hilfsbereiter sind sie.
T : Die Begegnungen und Einladungen haben sich oft sehr zufällig ergeben: In der türkischen Stadt Keşan, ganz im Westen des Landes, haben wir unser Zelt in einem Park aufgeschlagen. Anwohner hatten uns gesagt, dass das kein Problem sei. Nach dem Znacht kam dann plötzlich der Polizeichef der Stadt mit seiner Frau vorbei. Er hatte sich Sorgen um uns gemacht. Also lud er uns kurzerhand ein, im Hinterhof des Polizeigebäudes zu zelten – direkt neben dem Wasserwerfer. Ein uns Unbekannter brachte uns frisches Brot, später kam die Familie des Polizeichefs mit Tee, Decken, Äpfeln und Erdnüssen vorbei.
Waren die vielen Stopps und Einladungen nicht manchmal auch anstrengend?
M: Wenn ich müde bin, vergeht mir manchmal die Lust, mich zu unterhalten. Aber wir ergänzen uns da perfekt: Tonja ist in dieser Hinsicht unermüdlich und geht offensiv in jede Begegnung. Es gab aber auch ein paar Stopps, wo wir uns nur ein wenig im Schatten ausruhen wollten und uns dafür bewusst einen etwas abseits gelegenen Baum ausgesucht haben.
T : In Usbekistan waren wir bei einer Familie zu Besuch, die wie die meisten Leute in Usbekistan kein Englisch sprach. Die haben uns zu Ehren abends ein ganzes Poulet zubereitet – eine sehr grosszügige Geste. Das Problem: Ich esse kein Fleisch. Glücklicherweise hatten wir einige Tage vorher einen Usbeken getroffen, der uns eine Sprachnotiz aufgenommen hatte und dort das vegetarische/vegane Konzept erklärt hat. Das Wort «vegetarisch» gibt es in der usbekischen Sprache eigentlich gar nicht. Nachdem wir der Familie diese Nachricht vorgespielt hatten, war das Erstaunen gross – aber danach gab es ein sehr üppiges und rein veganes Znacht.
In unseren Filialen Markthalle Bern und Zürich Europaallee kannst du dein Mountainbike oder Tourenvelo probepacken. So merkst du schnell, welche Velotaschen passen. Auf einer kurzen Fahrt spürst du dann, wie sich das Fahrverhalten mit den Taschen verändert. Auch das hilft dir, dein Bike für deine nächste Tour bestmöglich vorzubereiten.
Welche Begegnung ist euch besonders in Erinnerung geblieben?
T : In Usbekistan auf dem Weg in die Stadt Samarkand begegneten wir einem jungen Mann, der gerade dabei war, auf einer ominösen Lehmwurst herumzutrampeln. Wir kamen ins Gespräch und er lud uns zu sich nach Hause ein. Wir sind dann zwei Tage bei der Familie geblieben und haben sie sehr ins Herz geschlossen – obwohl wir uns kaum verständigen konnten. Die Lehmwurst war übrigens Teil der Produktion eines Tandur-Ofens, in denen in der Region Brot gebacken wird.
Wie viel Reiselust war am Ende noch übrig?
M: Wir haben die Reise sehr genossen, wahnsinnig viel erlebt und gelernt und alles in uns aufgesaugt. Aber natürlich stellt sich bei so vielen Eindrücken auch irgendwann eine gewisse Sättigung ein. Wir haben uns am Ende jedenfalls wieder auf zu Hause gefreut. Ich würde sagen, sechs Monate waren für uns persönlich eine perfekte Zeitspanne.
T : Ich kann jeder und jedem nur empfehlen, so eine Reise zu machen und sich dabei auf die Zufälle einzulassen. Das sind die Momente, die die Reise rückblickend ausmachen. Man muss nicht alles bis ins letzte Detail durchplanen. Wenn mich Leute fragen, was die grösste Herausforderung war, sage ich immer: «Die Überwindung, einfach loszufahren.»
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