Martin Bissig
Wie Murmeln in einer Kugelbahn: Kappadokien ist vielen Türkei-Reisenden bekannt, doch die Märchenlandschaft auf dem Mountainbike buchstäblich erfahren, ist ein Geheimtipp fernab vom Rummel. Ein Erlebnisbericht.
Für viele Länder und Regionen haben wir sie: die typischen Bilder, die unweigerlich in unserem Kopfkino starten. Island? Speiende Vulkane und dampfende Schwefelquellen. Italien? Schiefe Türme und Pizza Margherita. Und die Türkei? Da denken wir an die Blaue Moschee in Istanbul – und die Heissluftballone über den fantastischen Felslandschaften von Kappadokien. Erosion und Menschenhand haben dort im Sandstein ein Sammelsurium von bizarren Säulen, bewohnbaren Kegeln und zahllosen Höhlen geschaffen. Unterirdische Städte, weit mehr als 1’000 Jahre alt, reichen bis zu 80 Meter in die Tiefe. Kein Wunder, dass Kappadokien ein fester Bestandteil klassischer Türkei-Rundreisen ist. Das fast obligatorische Highlight der Tourist:innen ist eine Ballonfahrt über die Märchenlandschaft. Wir wollen diese einzigartige Gegend auf unsere Weise erkunden, abseits des Getümmels. Nämlich mit unseren Mountainbikes.
Der Göreme-Nationalpark im Herzen Kappadokiens ist etwas grösser als der Kanton Zug. Zwei Flughäfen bringen Feriengäste in die Region. Die meisten absolvieren in maximal drei Tagen das klassische Kappadokien-Programm: Ballon, Bazar, unterirdische Stadt.
Ahmed, unser Gastgeber und Hotelbesitzer, ist begeistert, dass wir eine Woche Zeit mitbringen, um «sein» Kappadokien zu erkunden: «Hier gibt es so viel zu sehen, da könntet ihr noch eine Woche anhängen», erklärt er uns lachend in perfektem Deutsch. Mehr als 30 Jahre hat er in Deutschland gelebt, seit über einem Jahrzehnt ist er wieder zurück. Sein Herz schlägt für die Türkei und für Kappadokien im Besonderen. Ahmed kennt jeden Pfad, jede Ruine und viele besondere Plätze. Auch solche, die auf keiner Karte eingezeichnet sind. «Morgen fahre ich euch ganz früh zu einem Aussichtspunkt, da könnt ihr die Biketour starten.»
Im Dunkeln bepacken wir Ahmeds Kleinlaster und steigen auf die Ladefläche zu unseren Bikes. Die Fahrt dauert nur zehn Minuten. Es dämmert und wir sehen in der Ferne Dutzende farbige Punkte in den Himmel steigen. Hier oben auf der Krete ist der Blick spektakulär: Während die Sonne langsam aufgeht, heben immer mehr Heissluftballone ab. «Die Körbe fassen bis zu 30 Personen, sind faktisch fliegende Reisebusse», sagt Ahmed. Gefahren wird – ausser bei Sturm und Schneefall – das ganze Jahr. Tausende geniessen täglich die einmalige Vogelperspektive.
Wir sind vorerst sehr zufrieden mit dem, was wir vor unseren Lenkern sehen: Ein schmaler Trampelpfad schlängelt sich kilometerlang einen Hang entlang. Der staubige, lose Untergrund erfordert anfangs etwas Feingefühl beim Bremsen. Nach wenigen Kilometern haben wir uns eingewöhnt und werden mit grandiosen Aussichten belohnt. Die Formationen aus weichem Tuffstein, die uns dabei umgeben, sind einzigartig – vergleichbar höchstens mit den ikonischen Landschaften einiger US-amerikanischer Nationalparks. Unterdessen sind die biketechnischen Anforderungen nicht allzu hoch. Umso grösser ist unser Fahrspass. Ein weiteres Plus: die erhoffte Einsamkeit abseits der Souvenirläden. Ausser ein paar Wandernden verirrt sich kaum jemand in dieses schöne Tal. In weiter Ferne sehen wir unseren Mittagshalt in Çavuşin. Auf schmalen Singletrails erreichen wir die kleine Stadt und werden von der (Tourismus-)Realität eingeholt. Unzählige Shops im Dorf bieten selbstgemachte Souvenirs oder Antiquitäten. Wir schlendern durch die Gassen, feilschen um ein paar Tonschälchen, geniessen türkischen Kaffee und süsses Baklava.
Für den Heimweg bietet sich ein grosses Netzwerk an Pfaden an, die Möglichkeiten sind vielfältig. Wir entscheiden uns für das «Rose Valley». Trotz GPS ist es nicht immer einfach, die richtige Abzweigung zu erwischen, so engmaschig verlaufen die Wege. Das Rose Valley verjüngt sich, den Himmel sehen wir nur noch als schmales blaues Band über uns. Verfahren ist nun nicht mehr möglich: Wie Murmeln in einer Kugelbahn bewegen wir uns in der Schlucht. Dann, wie aus dem Nichts, ein zusammengeschusterter Kiosk à la turque: Ein alter Mann, umgeben von Orangen und Granatäpfeln, lacht uns entgegen. «Fresh Juice» verkündet sein gekritzeltes Schild. Der Saft ist tatsächlich fantastisch. Gestärkt pedalieren wir weiter bis zu unserem Ausgangspunkt – und rollen zufrieden bergab zu Ahmeds Hotel.
Der empfängt uns strahlend: «Für morgen könnte ich euch eine Ballonfahrt organisieren.» Eine nicht ganz günstige Angelegenheit – aber Kappadokien ohne Ballon ist wahrscheinlich wie Paris ohne Eiffelturm. Okay, Ahmed, wir sind dabei! Um 4 Uhr morgens steigen wir aus den Federn und ins wartende Sammeltaxi. Ein kleiner Korb ist gebucht mit maximal 16 Gästen. Je kleiner der Korb, desto teurer ist der Spass – aber desto mehr geniesst man eben auch die Aussicht.
In stockdunkler Nacht erreichen wir den Startplatz. Die Abflugorte koordinieren die unzähligen Anbieter jeden Tag neu nach Wind und Wetter. Der Tag bricht langsam an und wir steigen gemächlich empor. Zu Beginn noch begleitet vom Lärm des Gasbrenners, schweben wir nun geräuschlos über eine Hochebene, nur wenige Meter über dem Boden. Wir nähern uns einer Schlucht. Der erfahrene Pilot lässt heisse Luft ab und wir gleiten in das Tobel. Die Thermik drückt uns talwärts. Langsam dreht sich der Korb im Uhrzeigersinn. Was für ein Erlebnis! Nach der 90-minütigen Fahrt sind wir uns einig: Massentourismus hin oder her, das hätten wir nicht verpassen wollen.
Eine Stunde Transfer bringt uns ins Ihlara-Tal. Ein weiterer Hotspot, visuell und biketechnisch eine ganz andere Angelegenheit als der Nationalpark. Die meisten Feriengäste besuchen zuerst die Untergrundstadt und dann das weiter entfernte Tal. Wir planen umgekehrt und parkieren tatsächlich als erstes Fahrzeug auf dem riesigen Parkplatz in Ihlara. Der Einstieg in die Schlucht führt über einige Treppenabschnitte, die aber mit den vollgefederten Bikes machbar sind. «Glagg-glagg-glagg» schlägt die Kette im Takt. Wir bewegen uns flussabwärts auf schmalen Trails unter schattenspendenden Bäumen. Immer wieder unterbrechen Trage- und Schiebepassagen den Flow. Dafür haben wir am frühen Morgen den Weg fast für uns alleine. Auf einer im Fluss aufgebauten Plattform machen wir Pause, freuen uns über Tee und den kühlen Luftzug vom Wasser. Wie es sich gehört, haben wir die Schuhe ausgezogen. Da stösst unser Kellner versehentlich an einen unserer Bikeschuhe. Dieser fällt – zum Glück auf der Sohle landend – aufs Wasser und schwimmt wie ein Modellschiffchen flott davon. Nur dank der blitzschnellen Reaktion eines zweiten Mitarbeiters können alle Gruppenmitglieder die Tour mit zwei Schuhen zu Ende fahren.
Auf dem Rückweg ein Abstecher zur unterirdischen Stadt Derinkuyu. Der Riesenparkplatz, zig Souvenirstände und Eintrittsdrehkreuze wie bei Metrostationen signalisieren, dass wir uns wieder unter die Massen mischen. Dank unseres Timings teilen wir uns die acht Stockwerke tiefe Stadt mit nur wenigen Nachzüglern. Bei voller Kapazität ist die Attraktion für klaustrophobische Menschen wohl eher eine Herausforderung. Nach fünf weiteren Biketouren wird es Zeit, Abschied von Kappadokien und Ahmed zu nehmen. In vielerlei Hinsicht hat uns die Gegend begeistert. Das dichte Trail-Netz liess unsere Bikeherzen höherschlagen. Die Kulinarik – beeinflusst von orientalischer und arabischer Küche – hat uns jeden Tag vorzüglich gestärkt. Eine jahrtausendealte Kultur und eine atemberaubende Landschaft waren die Kirschen auf der Torte. Und ja: Auch die Ballonfahrt war ein absoluter Höhepunkt. Unser Fazit ist klar: Kappadokien ist zu schön und zu vielfältig für nur drei Tage.
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