Christiane
Die Isel ist Österreichs letzter frei fliessender Gletscherfluss. Die Wanderung entlang des Flusslaufes ist eine wilde und ungezähmte Erfahrung der besonderen Art: Tosende Stille ist ihr ganz besonderes Markenzeichen.
Sie ist schon immer da gewesen – jedenfalls seit Tausenden von Jahren. Hat die Landschaft im Laufe der Zeit geprägt, mit Schluchten, Felsen und glatten Sandbänken. Die Isel wird aus der Gletscherzunge am Umbalkees geboren – inmitten einer arktisch anmutenden Landschaft im Nationalpark Hohe Tauern. Dem Gipfel der majestätischen Rötspitze ganz nah, bricht sie brodelnd unter dem Gletscher hervor. Dann bahnt sich der noch junge Fluss seinen Weg hinab ins Tal und übertönt dabei alle anderen Geräusche durch sein konstantes Rauschen.
Ein Fels an der Mündung in die Drau ist Startpunkt des Trails, der im Jahr 2020 eingeweiht wurde. Von hier weisen die gelben Schilder den Weg. Schritt für Schritt geht es nun zum Ursprung hinauf. Fünf Tage sind plötzlich ein ganzes Leben, das Leben des Flusses. Und Zeit bekommt eine ganz andere Bedeutung.
Die erste Etappe führt gemütlich rund 17 Kilometer die Isel entlang, zunächst durch die Sonnenstadt Lienz. Es scheint, als ob das Schloss Bruck von oben «Hallo» sagt. Dann ist die Stadt verschwunden, es dominiert das Grün. Die Isel hat allen Eingriffen der modernen Welt standgehalten. Durch das breite Flussbett konnten sich hier Lebensräume entwickeln, die anderswo in Europa längst verschwunden sind. Fischotter und die als Huchen bekannten Donaulachse haben hier ein Zuhause gefunden, und auch die seltene Deutsche Tamariske wächst an vielen Stellen und taucht mit ihren Blüten die Ufer in ein Zartrosa.
Doch fast würde es all das heute nicht mehr geben. «1971 standen Pläne für den Bau eines hydroelektrischen Speicherkraftwerks in Osttirol im Raum», erklärt Nationalpark- Ranger Andreas Angermann. Das Kraftwerk sollte die Gletscherflüsse in einen Stausee umleiten. Doch engagierte Umweltschützer und der niedrige Strompreis sowie die Schwankungen des Flusses – wenig Wasserführung der Isel im Winter sowie extreme Mengen an Gletscherwasser mit Gesteinsmehlanteil im Sommer – verhinderten das Projekt. «Ich bin froh darüber, denn durch die Zwischenspeicherung des Wassers für das Kraftwerk wären die natürlichen Schwankungen des Wasserstandes weggefallen und Abläufe ver- und behindert worden», fügt er hinzu. So ist das Naturjuwel geblieben und Wanderfans können es in seiner ganzen Wildheit geniessen.
Die Etappen zwei und drei von St. Johann im Walde nach Prägraten am Grossvenediger verlaufen auf rund 30 Kilometern fast ausschliesslich neben dem äusserst lebendigen Fluss. Bald wird das Tal enger, und die Katarakte bei Feld sind die Vorboten der kraftvollen, alpinen Isel im Oberlauf. Je näher es zu ihrer Geburtsstätte geht, desto beeindruckender die Natur: Bei den Umbalfällen stürzt die Isel mit enormem Getöse hinab. Gischtnebel hüllt die Wanderer ein, die auf dem Wasserschaupfad mit dem Fluss auf feuchte Tuchfühlung gehen. Weiter oben macht die Zivilisation der rauen Natur Platz. Schneefelder und Wildblumen wechseln sich ab, dazwischen pfeifen die Murmeltiere.
Während in der Clarahütte die Jacken über dem Ofen trocknen, muss der Fluss draussen bleiben. Hüttenwirtin Karin singt «Don’t worry, be happy». Zwei Gitarren, das passende Lied, und Fremde werden zu Freunden.
Am nächsten Morgen scheinen die Dreitausender zum Greifen nah und die alpine Wildnis zeigt sich mit ihrer Farbenpracht: Wie ein weiss-türkises Band durchzieht die Isel Blumenteppiche. Die Rost-Alpenrosen leuchten mit dem Blau des Enzians um die Wette. Auf der letzten Etappe haben die Wanderer die letzte grössere Steilstufe zu überwinden, die vor wenigen Jahrzehnten noch vom Gletscher bedeckt war. Am Gletschersee vorbei, taucht das pyramidenförmige Wahrzeichen als Endpunkt des Trails auf, dahinter thronen der imposante Gletscher Umbalkees und die Dreiherrenspitze. Freude und Wehmut zugleich, denn jeder kann sehen, wie weit der Gletscher zurückgegangen ist. Die Gefahr, die der Isel nun droht, ist der Klimawandel. Denn verschwindet der Gletscher, verschwindet auch der Fluss. Aber noch ist sie da und begeistert mit ihrer ganzen Wildheit. Auf den fünf Etappen ist man Zeuge ihres Lebensweges vom eisigen Geburtsort bis zu ihrem Ende, der Mündung in die Drau. Und wer ihn geht, wird eins mit dem Fluss und kommt verändert nach Hause zurück.
Organisation: Mit einer Gesamtlänge von 73,5 Kilometern und 2120 Höhenmetern ist der Iseltrail in fünf Etappen mit Streckenlängen zwischen elf und 16 Kilometern unterteilt. Wer eine fixe Unterkunft hat, kann mit dem Bus 951 (mit der Gästekarte kostenlos) zum jeweiligen Etappen- Ausgangspunkt fahren, Infos: postbus.at
Es ist aber auch eine Wanderung mit wechselnden Unterkünften oder mit Zelt möglich. Für die letzte Etappe ist eine Übernachtung (vorab reservieren) auf der Clarahütte notwendig. Eine sehr interessante Ausstellung über den Isel-Trail befindet sich zurzeit in der Tourismusinformation Virgen.
Allgemeine Infos: Infos zum Iseltrail unter osttirol.com
Wer noch mehr am Wasser oder in Österreich weitwandern möchte, findet Inspiration unter austria.info/weitwanderwege und austria.info/wandern-am-wasser
(Mit der TransaCard immer kostenlos)